Vorwürfe sind versteckte Wünsche

Die meisten kennen die Situation: Man hat sich gestritten, eine Sendepause ist eingetreten, jeder der Partner hat das Gefühl: ihm/ihr wurde Unrecht getan. Für viele ist es ein Gebot der Selbstachtung, nicht als erste/r auf den anderen zuzugehen. Genauso froh ist dieser dann aber auch, wenn der andere es endlich schafft. Nachdem oft ohnehin der Anlass nicht mehr genau rekonstruiert werden kann, reicht das als Genugtuung schon aus. Ein bisschen "Gebrummel" und endlich kann man wieder zum Alltag zurückkehren. Gott-sei-Dank gibt es diesen Mechanismus. Aber auch leider. Leider deshalb, weil dann oft zu wenig über die unterschiedlichen Bedürfnisse geredet wurde, die zum Konflikt geführt haben und der Rest wieder unter den Teppich gekehrt wurde. Gott-sei-Dank deshalb weil wir sonst noch mehr wertvolle Lebenszeit mit unguten Gefühlen zubringen müssten.

Konflikte sind aber nur Ausdruck von unterschiedlichen Wünschen und Bedürfnissen. Auch Vorwürfe sind versteckte Wünsche, die man sich nicht traut, offen auszusprechen. Die eben leichter über die Lippen gehen, wenn man den anderen damit in die Pflicht nehmen will. Am Besten unter dem Deckmantel der Allgemeingültigkeit. 'Es ist normal, dass ein Mann / eine Frau das oder jenes macht - nur Du tust es nicht. Vor allem nicht von selbst."

Warum traut sich eigentlich jemand nicht, seine Wünsche offen zu formulieren? Wünsche lassen uns "bedürftig" erscheinen. Außerdem sind sie nur Verhandlungsgrundlage. D.h. ein Wunsch kann auch abgelehnt werden. Als Zurückweisung erlebt, tut das weh.

Partnerschaft ist der Versuch ohne Hierarchie zu leben. Es darf da kein oben oder unten geben. Oft fällt es Paaren sehr schwer diese Balance zu halten. Und oft erleben sie es als sehr anstrengend. Gerade wenn sich eine vorwurfsvolle Haltung breit gemacht hat. Dann sitzt vielleicht jeder schon in einem Schützengraben, und es hat sich der so genannte "Zwangsprozeß" eingestellt. Da geht es zum einen um den eigenen Schutz vor Angriffen des anderen und zum zweiten will jeder eine Veränderung des Partners über Bestrafung erreichen. Auch wenn das manchmal klappt, ist es ein Scheinsieg. Der "bestrafte" Partner sinnt auf Rache und verschließt sich.

Aber Offenheit ist das sichtbare Zeichen einer guten Beziehung. Offen sein für die Gefühle und Wünsche des Partners / der Partnerin. In der Gewissheit, dass der andere die meisten meiner Wünsche erfüllen will, wie ich umgekehrt seine auch.

Kommt es zum Konflikt, weil unterschiedliche Bedürfnisse aufeinander treffen, muss man keine Fremdsprache lernen, nur ein paar wichtige Regeln beachten, damit ein Konfliktgespräch zu guten Ergebnissen geführt werden kann.

Dabei ist sehr wichtig, dass jeder von sich spricht. Und nur von sich. D.h. ein vorwurfsvolles "Du" ist da verboten. Erlaubt ist ein Sprechen von sich selbst, vor allem von dem eigenen Gefühl. "Ich bin enttäuscht darüber, dass wir jetzt zu spät zu unserer Verabredung mit den Freunden kommen, weil es mir peinlich ist" statt "Immer kommst Du zu spät!' und/oder "das macht man doch nicht!" Ich sage meinem Partner, wie es mir damit geht. Und an meinen Gefühlen kann nicht herumgedeutet werden. Gefühle sind individuell unterschiedlich und jeder hat das Recht eigene Gefühle zu haben. Wenn eine offene zärtliche Atmosphäre herrscht, kann der andere jetzt sagen: "Tut mir leid. Nächstes Mal beeile ich mich." Ihm wurde keine Charakterschwäche unterstellt, sondern konkret gesagt, was gestört hat. Auf der Gefühls- und Sachebene. Im Hier und Jetzt. Vielleicht war dem Partner / der Partnerin bisher gar nicht so klar, wie störend der andere sein Verhalten erlebt.

Gut ist, wenn auch noch der konkrete Wunsch nach Verhaltensänderung nachgeschoben wird: "Ich wünsche mir für die Zukunft, dass wir pünktlich sind." Wohlgemerkt: immer als Wunsch ausgesprochen, niemals als Befehl. Der andere muss immer die Freiheit haben, ja oder nein sagen zu können.

Nach diesem Schema lassen sich die meisten Konflikte zu brauchbaren Lösungen führen, bei denen beide Partner sicher sein können, ihre Bedürfnisse eingebracht zu haben.

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